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Automesse Genf 2017 – Die etwas andere Show

Auf der Automesse Genf (bis 19. März  2017) müssen sich die großen Hersteller etwas einschränken, dafür erhalten die kleinen Karossiers eine Chance, sich goßzügig zu präsentieren. Sie wird genutzt:

Der niederländische Hersteller Spyker ist wieder da; der deutsche Entwicklungsdienstleister Edag zeigt eine für Bosch gebaute Studie, die weit nach vorne blickt, und die VW-Tochter Ital Design darf sich mit einer dystopischen Zukunftsvision profilieren: Auf dem Stand spreizt sich eine gewaltige Drohne. Immerhin sorgt man damit in Turin nach dem würdelosen Abgang des Patriarchen Giorgetto Giugiaro für ein neues, interessantes Diskussionsthema.

Dafür ist Volkswagen in diesen Tagen ohnehin gut. Auf dem exklusiven Vorabend der VW-Gruppe zeigen die Wolfsburger das Konzept eines autonomen Fahrzeugs der Stufe 5 – also eines vollständig selbstfahrenden Autos, bei dem kein Lenkrad mehr vorgesehen ist und die Insassen nicht mehr ins Fahrgeschehen eingreifen können. Das futuristische Fahrzeug namens Sedric (wir möchten es als „autoid“ bezeichnen), gestylt im Potsdamer Studio unter Peter Wouda, trägt kein VW-Logo mehr, sondern es repräsentiert die geballte Kompetenz des gesamten Konzerns.

Markenchefs wie Herbert Diess bleiben Modelle wie der VW Arteon, Nachfolger des CC, eindrucksvoll gewachsen und wie geschaffen, um die Lücke zum Phaeton zu schließen, den es nie mehr geben wird. Der Arteon ist noch im Designstudio von Marc Lichte entstanden, inzwischen Audi-Chefdesigner und verantwortlich für die kommenden Ingolstädter Flaggschiffe A6, A7 und A8, die noch 2017 und 2018 auf den Markt gelangen. Die seriennahe Studie Q8 Sport Concept trägt ebenfalls seine Handschrift.

Souverän präsentiert sich die sportliche Konzerntochter Porsche: Der neue Panamera erhält ein 680 PS starkes Spitzenmodell mit Hybridantrieb, das den Geist des Supersportwagens 918 Spyder in die Oberklasse transportieren soll. Und es gibt ihn als Kombiversion namens Sport Turismo. Porschefahrern sei übrigens vor Fahrtantritt das Studium des Wetterberichts und der alarmistischen Prognosen einschlägiger Umweltverbände angeraten – tat doch Markenchef Oliver Blume vor wenigen Tagen öffentlich kund, dass Fahrverbote für Dieselwagen „einen Beitrag leisten“ könnten.

Der Panamera erhält übrigens zunehmend Konkurrenz: BMW arbeitet an einer sportlichen Baureihe oberhalb des 7ers, Audis A7 wird noch 2017 gezeigt, bei Mercedes-Benz steht der neue CLS in den Startlöchern, und darüber hinaus wird es einen extrem sportlichen Viertürer geben, der technisch auf der E-Klasse basiert, sich stilistisch jedoch am AMG GT orientiert. Er steht als AMG GT Concept in Genf – und figuriert als Star der Messe.

Und es sind nicht nur die etablierten Player, die in das Segment drängen: Die Start-ups Faraday Future und Lucid – beide in Genf nicht präsent – wollen vollelektrische Alternativen bieten, und aus der Gerüchteküche verlautet, dass auch die etablierte chinesische Marke Qoros an einer sportlichen, vollelektrischen Oberklasse-Limousine arbeitet, die das Modellprogramm nach oben ergänzen würde. Chefdesigner Gert Hildebrand war in Genf ebenso vor Ort wie Borgward-Chefdesigner Anders Warming, der ihm einst bei Mini nachgefolgt war.

Genf ist auch die Messe der Tuner und Veredler: Bekannte Player wie das oberfränkische Unternehmen Mansory strapazieren die Geschmacksnerven oft erheblich. Und wer die Bespoke-Modelle auf dem Rolls-Royce-Stand gesehen hat, erkennt das Bemühen der Hersteller, die Tuner überflüssig zu machen. Auf Purismus setzt hingegen die Traditionsfirma Ruf aus Pfaffenhausen im Allgäu: Der 700 PS starke CTR sieht aus wie ein klassischer 911, verfügt jedoch über ein völlig eigenständiges Chassis und läuft glatte 360 km/h schnell.

Zurück in gewöhnlichere Gefilde: Was PSA mit Opel vorhat, war ebenso Thema wie die kritischen Äußerungen von GM-Chefin Mary Barra über den europäischen Markt, von dem sich der Konzern vorerst zu verabschieden scheint: Einen Relaunch der Marke Chevrolet soll es in absehbarer Zeit nicht geben. Cadillac hingegen bleibt bei seiner Wachstumsstrategie, zu der neue SUV-Modelle gehören – und wohl auch weiterhin die geplanten Dieselmotoren. Das Concept Car Escala feierte Europapremiere und gibt konkrete Hinweise auf die weiterentwickelte Formensprache der faszinierenden Marke. Cadillac könnte sich eine Nische als individualistische Alternative zu den deutschen Platzhirschen erobern.

Dies gilt umso mehr, als die Franzosen und Italiener das Segment der Premium-Limousinen weitgehend verlassen haben. Der Citroen-Nobelableger DS profiliert sich statt dessen mit einem Crossover namens DS 7, der in natura nicht so überzeugt wie auf den Fotos: Das Interieur wirkt zerklüftet, die Materialqualität könnte besser sein. Dennoch gilt: Das Citroen- und DS-Programm ist so interessant wie schon lange nicht mehr.

Bei Peugeot polarisieren der neue 3008 (Europas „Auto des Jahres 2017“) und die Studie Instinct, die als extrem sportlicher, hybridisierter Kombi auftritt. Und Renault glänzt mit der Neuauflage der Alpine, kompakt, leicht und sauber umgesetzt. Selten haben die Franzosen so überzeugt wie heuer – vielleicht ein gutes Omen für Opel. Die Rüsselsheimer haben es in fast 70 Jahren nicht geschafft, ihren Frieden mit GM zu schließen; jetzt haben sie Gelegenheit, sich unter französischer Kontrolle zu bewähren. Zuletzt hatte Citroen den Rüsselsheimern 1924 unter die Arme gegriffen, allerdings unfreiwillig: Der überaus erfolgreiche Opel Laubfrosch war technisch kaum mehr als ein Nachbau des 5CV.

Bei allen zwiespältigen Signalen ist ein Trend ungebrochen – nämlich der zum SUV. Alfa Romeo Stelvio, Volvo XC60 und Range Rover Velar stehen exemplarisch für die Attacke der Premium-Marken im margenträchtigen Segment der gehobenen Crossover-SUV. Und in der Endausscheidung zum „World Car of The Year“ befinden sich erstmals drei SUV – und kein konventionelles Auto: Audi Q5, Jaguar F-Pace und Volkswagen Tiguan. Und was diesen Trend betrifft, ist Genf ganz und gar nicht anders als die anderen Automessen. ampnet/jm


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